Spurensuche: Jüdisches Leben in der Nachbarschaft von Neckargemünd

Rudolf Atsma und Edith Wolber

Jüdische Geschichte im Kraichgau bei den Neckargemünder Gesprächen

Die jüdische Geschichte im Kraichgau war das Thema beim Sonntagsbrunch der Neckargemünder Grünen im bis auf den letzten Platz besetzten Jakobssalon. Dr. Edith Wolber aus Meckesheim hat fünf Jahre in Archiven gestöbert und mit Zeitzeugen gesprochen und am Beispiel von Meckesheim und Neidenstein jüdische Schicksale aus der Zeit der Nazi-Herrschaft in einem Buch dokumentiert. So vieles liege noch im Dunkeln: Unter welchen Umständen musste Familien damals das Land verlassen

oder wurden deportiert und fast immer ermordet? Und was ist mit dem jüdischen Besitz – Häusern, Firmen, Wohnungseinrichtungen – geworden? Fragen dieser Art werden auch heute oft tabuisiert. Wenn sie gestellt werden, fällt es den wenigen noch lebenden Zeitzeugen oder Nachkommen oft schwer, sich auf das Gespräch darüber einzulassen.

Rudolf Atsma und Edith Wolber
Rudolf Atsma und Edith Wolber

Edith Wolber erläuterte die leidvolle Geschichte der Juden in der Region, die oft seit dem Mittelalter in ihrer Berufswahl vielen einschränkenden Regeln unterworfen waren und bei Katastrophen wie der grassierenden Pest im 14. Jahrhundert als Schuldige ausgemacht und Opfer von Pogromen wurden. Bis zum Beginn des „3. Reiches“ hatten sich Juden dennoch vielfach respektable Stellungen, oft als Händler oder Intellektuelle, aufgebaut. Das Schicksal von Max Neuberger aus Meckesheim diente Edith Wolber als Beispiel: Vielfach mit Orden ausgezeichneter Teilnehmer am ersten Weltkrieg, der erste Bewohner von Meckesheim mit einem Telefon – Telefonnummer 1 – einer der ersten Besitzer eines Autos, eines Radios und eines Bades mit fließend warmem Wasser, ein geachtetes Mitglied der Dorfgemeinschaft. Und dennoch bald nach der Machtergreifung der Nazis, Opfer antisemitischer Angriffe. Viele Lebensläufe, die im Vortrag vorgestellt wurden, enden abrupt im Jahre 1942 in Auschwitz oder Theresienstadt. Noch gebe es Zeitzeugen, die die Opfer von damals noch selbst gekannt haben. Und immer wieder machte Edith Wolber die Erfahrung, dass die Gesprächigkeit von Einzelpersonen oder Vereinen, die sonst mit viel Einsatz die Geschichte ihres Ortes kennen und pflegen, recht schnell zum Erliegen kommt, wenn man auf die Umstände und die Täter der Judenverfolgung von damals zu sprechen kommt. „Wir können die Schuld früherer Generationen nicht auf uns nehmen, doch entscheidend ist, wie wir damit umgehen. Wir sollten couragiert Einfluss nehmen, da wo wir es können.“ gab Edith Wolber ihren Zuhörern am Ende ihres Vortrages mit auf den Weg.

Musikalisch umrahmt wurde der Vortrag von Pfarrer Rudolf Atsma, der hebräische und jüdische Lieber auf der Gitarre vortrug und die oft traurige Bedeutung der fremden Zeilen den Zuhörern erläuterte: Dass man sich den Mut und die Verzweiflung der Mitglieder des Kabarett-Ensembles im KZ Wilna vorstellen müsse, die den Besuchern von der SS trotzig „Wir leben ewig“ ins Gesicht sangen. Und dass das bekannte „Dona, dona“ eben kein Schlagerliedchen sei, sondern ein bedrückendes Klagelied.

Als in der anschließenden Diskussion nach „Stolpersteinen“ in Neckargemünd gefragt wurde, gab es eine kleine Überraschung.  Bisher gibt es in Neckargemünd keine Stolpersteine, die anderorts die Erinnerung an Deportierte und Ermordete wachhalten sollen. Weil es solche Schicksale in der Stadt nicht gab? Keineswegs, wie Dr. Reinhard Ding erläuterte, der Mitglied eines unlängst von der Stadt Neckargemünd mit der Erforschung dieses Thema beauftragten Arbeitskreises ist. Zwar sei noch viel Arbeit in Archiven zu tun, die durch strenge Datenschutzregeln oft überaus erschwert werde. Aber es seien bereits eine ganze Reihe von Fällen von Deportationen auch in Neckargemünd zutage getreten, die nach Abschluss der Arbeiten durchaus mit einem Stolperstein dokumentiert werden könnten.

Das große Besucherinteresse an der Veranstaltung machte deutlich, dass für die meisten Menschen keineswegs die Zeit gekommen ist, einen Schlussstrich zu ziehen, sondern dass die demokratische Gesellschaft in Deutschland es weiterhin als Verpflichtung sieht, die Erinnerung an diesen dunklen Teil der deutschen Geschichte zu bewahren, wie Ilka Schlüchtermann von den Neckargemünder Grünen erklärte.

Die Gastgeber Henriette und Hermino Katzenstein luden die Besucher zum Abschluss herzlich zum nächsten „Neckargemünder Gespräch“ am 2. Dez ein, bei dem über mögliche Konzepte für die leerstehende Villa Menzer diskutiert werden soll.

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