Bericht zur Podiumsdiskussion mit Renate Künast (Grüne) und Prof Detlef Weigel am DAI Heidelberg am 29.10.
Im Rahmen des International Science Festivals fand am vergangenen Montag am DAI Heidelberg eine Veranstaltung zu Thema Gentechnik statt, bei der der Tübinger Biologe Detlef Weigel und die ehemalige Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast (Grüne) miteinander diskutierten.
Daniel Lingenhöhl vom Spektrum der Wissenschaft eröffnete den Abend als Moderator und befand, dass bei wenigen wissenschaftlichen Themen die Gräben zwischen Befürwortern und Kritikern so tief und unüberwindlich erschienen wie bei der Gentechnik. Seine Rolle als Moderator verlies er gleich in der Einführung ein stückweit, als er süffisant darauf hinwies, die Grünen folgten interessanterweise zu fast 100 Prozent dem Konsens der Klimawissenschaften, dass nämlich der menschengemachte Klimawandel real und eine große Bedrohung ist, aber den Aussagen der Mehrheit der Wissenschaftler*innen in der Biologie über die Chancen und Möglichkeiten der Gentechnik stünden die Grünen seltsamerweise fast ebenso geschlossen ablehnend gegenüber.
Detlef Weigel stieg mit einer Bewertung des unlängst erfolgten Urteils des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zu neuen gentechnischen Verfahren („Crispr/Cas9“) in die Diskussion ein: Der EuGH hatte entschieden, dass diese Verfahren trotz aller Unterschiede weiter als Gentechnik zu betrachten seien und daher den bisherigen Regeln unterworfen bleiben müssten. So wie das Gesetz derzeit sei, habe der EuGH gar keine andere Möglichkeit gehabt, aber gleichzeitig plädierte Weigel für eine Neubewertung des Gesetzes, da sich heutige Entwicklungen zu der Zeit seiner Entstehung vor Jahrzehnten schlicht noch nicht absehen ließen.
Renate Künast war vorhersehbar recht zufrieden mit dem Urteil und betonte in ihren Beiträgen ein ums andere Mal, die Versprechungen der Gentechnik hätten sich zum einen bisher nicht bewahrheitet und zum anderen seien die angekündigten Neuerungen bei einer besseren Verteilung und Nutzung auch gar nicht nötig: Dass die Welt riesige Mengen von Nahrung alleine für die Fleischproduktion aufwende, bei der aus 10 Kalorien Soja nur 1 Kalorie Fleisch erzeugt werde, sei eines der Grundübel. Selbst Afrika erzeuge derzeit ca 3000 Kalorien Nahrung pro Bewohner und Tag; ausreichend, um die Bevölkerung gut zu versorgen, gäbe es nicht Konflikte und Misswirtschaft. Aber die würden auch mit neuer Gentechnik nicht verschwinden. Und im einem Nebensatz deutete sie an, dass ja auch bei den Grünen inzwischen, angestoßen durch den Bundesvorsitzenden Robert Habeck, eine Diskussion rund um eine Neubewertung des Themas Gentechnik begonnen habe.
Die beiden Diskutanten erzielten den Abend über bei einer Reihe von Kernfragen keine Übereinstimmung: Weigel bestritt, dass die bisherige Gentechnik keine Erfolge vorzuweisen habe. Neuere Sorten bedeuteten belegbar oft 20 Prozent mehr Ertrag und 40 Prozent weniger Pestizideinsatz. Uneinigkeit auch bei der Bewertung des berühmten „Golden Rice“ – einer gentechnisch veränderten Reissorte, die größere Mengen von Vitamin A enthalte. Während Künast konstatierte, die Hoffnungen rund um diese Reissorte hätten sich nicht bewahrheitet und Mangel ließe sich durch ausgewogene Ernährung viel besser vermeiden, verwies Weigel auf die Tatsache, dass viel Menschen in Asien schlicht nicht die finanziellen Möglichkeiten hierzu hätten, dass aber bereits eine Tagesration von 40 Gramm dieser Reissorte Kinder vor dem Erblinden wegen Vitamin A-Mangel bewahren können.
Und so ging es weiter: Lobte Renate Künast die Entscheidung des Himalaya-Landes Sikkim, den Anbau zu 100% auf organic und gentechnikfrei umzustellen, verwies Weigel in seiner Antwort darauf, dass gerade Sikkim in den letzten Jahren große Ernteausfälle und Preissteigerungen zu beklagen habe. Als Zuhörer hätte man sich Frank Plasbergs Faktencheck gewünscht, so sehr blieben viele dieser Fragen ungeklärt.
Doch in vielen Punkten waren Künast und Weigel auch einer Meinung: Patente auf Gensequenzen lehnten beide ebenso sehr ab, wie sie die Bedeutung von Vielfalt für unsere Umwelt betonten. Vielfalt, die angesichts der immer weniger werdenden Sorten, die weltweit im großem Stil angebaut würden, in Gefahr sei.
Und gerade bei der Vielfalt setzte Weigel zu einem kleinen wissenschaftlichen Exkurs an und lobte die Möglichkeiten von Crispr/Cas9: Während Kulturpflanzen wie Weizen und Gemüse wegen der Gleichförmigkeit des Saatgutes oft die mühsam angezüchteten guten Eingenschaften innerhalb von wenigen Generationen wieder verlören, seien Wildpflanzen viel stabiler in dieser Hinsicht. Sie verstünden es nämlich, Eigenschaften über zehntausende von Jahren zu bewahren. Der Grund: Die genetische Vielfalt im Erbgut der Wildpfalzen, die bei den Kulturpflanzen, die uns heute ernähren, oft nicht mehr gegeben sei. Crispr/Cas9 eröffne die Möglichkeit, diese Vielfalt wieder einzuführen und Kulturpflanzen damit ähnlich robust zu machen, wie Wildpflanzen, was sich wiederum positiv auf den Pestizideinsatz auswirke.
Im fast vollbesetzten Saal im DAI war Künast mit ihrer Skepsis klar in der Minderheit, und verteidigte entschlossen das Vorsorgeprinzip im europäischen Recht, wonach Risiken vor einem breiten Einsatz neuer Verfahren bewertet werden müssen und nicht erst nachdem das Kind in den Brunnen gefallen sei. Unwohl sei ihr auch bei der Beobachtung, dass durch immer mehr Technik auf den Feldern die Entwicklung hin zu immer mehr Einfluß weniger großer Konzerne auf die gesamte Welternährung festzustellen sei.
Eine zu Beginn und am Ende des Abends rasch durchgeführte Erhebung ergab eine positive Einstellung des Publikums zu Gentechnik von jenseits von 80 Prozent. Heidelberg, das ja gleichermaßen Grüne Hochburg wie Wissenschaftsstadt ist, war zumindest an diesem Abend und an diesem Ort recht deutlich zuallererst Wissenschaftsstadt.
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