Delegation aus dem Rhein-Neckar-Kreis informiert sich über die Energiewende im Hunsrück
Eine 15-köpfige Delegation aus dem Kreistag und der Kreistagsverwaltung nahm am vergangenen Samstag die Gelegenheit wahr, sich anlässlich eines Informationstages den Stand der Energiewende im Rhein-Hunsrück-Kreis näher anzusehen. Bis auf den letzten Platz besetzt war der Saal im Gemeindezentrum in Külz als die Veranstalter mit ihrem Vortragsprogramm begannen: Routiniert berichten die Bürgermeister der Orte Neuerkirch und Külz, Volker Wichter und Bernd Ries sowie der Klimamanager des Rhein-Hunsrück-Kreises Frank-Michael Uhle von den Anfängen des Projekts und den inzwischen deutlich sichtbaren Erfolgen.
Der Rhein-Hunsrück-Kreis ist quasi der Deutsche Meister bei der Umsetzung der Energiewende: Ein mehrfaches des Strombedarfes und im Saldo sogar die Gesamtmenge an Primärenergie kommt hier inzwischen aus erneuerbaren Quellen. Den öffentlichen Kassen hat dieses Projekt nicht geschadet, im Gegenteil: Die Gemeinden des Kreises verfügen mittlerweile über 80 mio € an Rücklagen, der Kreis rühmt sich der geringsten Pro-Kopf-Verschuldung im ganzen Land. Und der Zusammenhalt in der Bevölkerung? Spürbar gewachsen sei die Identifikation mit dem eigenen Ort und der Stolz auf das Erreichte. Die politische Zustimmung? Windenergiepionier und Ortsbürgermeister Wichter wurde zuletzt mit 92% wiedergewählt. Ach ja: Und die Umwelt? Die Gegend ist inzwischen rechnerisch klimaneutral und erntet die Früchte ihrer konsequent umgesetzten Maßnahmen. Damit werden Wertschöpfung und Arbeitsplätze vor Ort geschaffen. „Hier steht kein Haus mehr als ein paar Tage leer. Die Interessenten fragen: Ist das Haus am Nahwärmenetz? Ist es am Glasfasernetz? Und dann geht meist alles ganz schnell. Wir haben hier Wartelisten.“ erklärt Bürgermeister Ries. Der Hunsrück gab noch vor Jahren die traurige Kulisse für den TV-Mehrteiler „Heimat“ von Edgar Reitz ab, als einer Region, aus der die Menschen wegen Armut und Perspektivlosigkeit zur Auswanderung gezwungen waren. Dieses Bild habe sich grundlegend gewandelt.
Die durch die Energiewende erwirtschafteten Mittel ermöglichen den Orten, Maßnahmen umzusetzen, die ohne kaum denkbar wären: Vereinsförderung, High-Speed-Internet, Jugendzentren und sogar die Anschlusskosten an das Nahwärmenetz können mit üppigen Beträgen gefördert werden. Selbst Nachbargemeinden, die die Anlagen zwar von weitem sehen, aber von den Einnahmen nicht direkt profitieren würden, können großzügig an den Einnahmen beteiligt werden. Ein Dorfbus steht für die Bevölkerung kostenlos zur Verfügung um Wege in die Stadt oder zu Sportveranstaltungen zu bewältigen – natürlich emissionsfrei.
„Wir haben hier klein angefangen: Mit Glühbirnen-Tauschaktionen und Energiesparkampagnen. Und hätte uns jemand vor 20 Jahren prophezeit, dass im Jahr 2020 Mittel von jährlich über 40 mio € im Kreis erwirtschaftet werden und sich Delegationen aus inzwischen über 50 Ländern für unser Projekt interessieren würden; wir hätten ihn für verrückt erklärt.“ so Frank-Michael Uhle. Was oft vergessen werde: Die Millionen, die eine Region mit der eigenen Energieerzeugung Jahr für Jahr erwirtschafte, fließen auch nicht mehr unablässig ab in ferne, oft undemokratische Länder, die die derzeit noch vorherrschende Versorgung mit Öl und Gas sicherstellen. „Das Geld des Dorfes dem Dorf!“ so das Motto, das vor 150 Jahren die Genossenschaftsbewegung begründete. Hier im Hunsrück haben man damit die Orte zukunftsfest gemacht. Inzwischen ist nicht nur das Projekt der Energiewende im Rhein-Hunsrück-Kreis mehrfach ausgezeichnet worden, selbst die Dokumentarfilme über das Projekt heimsen Preise ein. Uhle verteilt die DVDs stapelweise. Man möchte die positiven Erfahrungen breit teilen.
Nach den Vorträgen geht es zur Besichtigung einer Anlage an den Ortsrand: Direkt auf die Grenze zwischen den beiden Orten Külz und Neuerdorf wurde die gemeinsame Heizzentrale gebaut, die inzwischen beide Orte mit umweltfreundlicher Energie beliefert. Wie ein Wunschtraum aus dem Lehrbuch erscheint die Szenerie: Über stilvoll restaurierten Fachwerkfassaden schimmern Photovoltaikanlagen auf den Dächern im Ort. Eine etwa fußballfeldgroße Fläche ist mit einem Solarthermiefeld bedeckt („der größten solchen Anlage im Land“), auf dem Höhenzug darüber drehen sich gemächlich die Windmühlen, gegenüber die Heizanlage, in der in großen Bodentanks Holzabfälle darauf warten, verfeuert zu werden.
Ungläubig reiben sich die Besucher aus dem Rhein-Neckar-Kreis die Augen: Woher kommt die große Zustimmung in der Bevölkerung, hat man doch zu Hause jenseits des Rhein manchmal den Eindruck, manche Leute würden am liebsten mit Heugabeln die Rathäuser stürmen, sobald das Wort Windkraft fällt. „Die Anlagen hier stehe alle auf Gemeindegrund, daher kommen die Einnahmen auch den Leuten hier am Ort zugute, nicht irgendwelchen fernen Investoren. Das befriedet die Diskussion ungemein.“ so Uhle. Und die Gefahr von Vogelschlag? „Für jede Anlage werden Ausgleichsmaßnahmen geschaffen, die ökologisch meist wertvoller sind als die freigeräumte Fläche. Daher hat der Bestand an großen Vögeln wie Schwarzstorch und Rotmilan hier sogar zugenommen.“ Auch anfangs vereinzelt geäußerte Sorgen, die Energiewende könne zulasten des Tourismus gehen, hätten sich nicht bewahrheitet. Die spektakuläre Geierlay-Hängebrücke, die inzwischen hunderttausende Besucher jedes Jahr in den einst verschlafenen Ort Mörsdorf lockt und die ebenfalls nur mit Mitteln aus der Energiewende zu stemmen war, ist hierfür nur ein Beispiel.
Mit reichem Infomaterial und vielen positiven Eindrücken trat die Delegation aus dem Rhein-Neckar-Kreis die Heimfahrt an. Was den hiesigen Klimaschutz angeht, so hatte der Kreis auf der Basis des seit 2012 gültigen Klimaschutzplanes in den letzten Jahren das Hauptaugenmerk auf kreiseigene Aktivitäten gerichtet. Welche großen Potenziale bei der nun anstehenden Ausweitung des Klimaschutzes auf die Fläche winken, davon vermittelte der Besuch im Hunsrück einen überaus motivierenden Eindruck. Die Energiewende nicht als schwieriger, teurer und konfliktträchtiger Kostenblock, sondern als erfolgreiches, Gestaltungschancen eröffnendes Wirtschaftsförderprogramm, das quasi im Vorbeigehen auch gleich die Klimakrise eindämmt: Dahin muss – bei allen Unterschieden zwischen den beiden Regionen – auch hier an Rhein und Neckar die Reise gehen.
Claudia Schmiedeberg, Stefan Geißler
P.S. Die während des Termins präsentierten Vorträge finden sich hier:
http://gruene-neckargemuend.de/wordpress/wp-content/uploads/2020/03/Neuerkirch-Külz.pdf
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