Zielkonflikt – wie Klimaschutz und Artenschutz versöhnen?

Neckargemünder Grüne diskutieren über Windprojekt Lammerskopf

Intensiv diskutiert die Region gerade über Windkraft im Allgemeinen und das Windprojekt am Lammerskopf im Besonderen. Das Dilemma, dass hierbei die beiden Ziele Klimaschutz und Artenschutz gegeneinander abgewogen werden und nach Möglichkeit zu einem Konsens geführt werden müssen, war das Thema der Neckargemünder Gespräche der Grünen am vergangenen Sonntag, dem 2. Juli im Jakobssalon in der Neckargemünder Altstadt.

Windenergie im Wald – Notwendigkeit oder No-go? Darüber diskutierten die Neckargemünder Grünen am vergangenen Sonntag

Der Wieslocher Grünen-Kandidat für die Europawahl Jürgen Kretz hatte die Moderation der Veranstaltung übernommen, bei der Stefan Geißler und Dr. Jochen Schwarz (beide Grünen-Kreisräte im Rhein-Neckar-Kreis) in ihren Vorträgen die jeweiligen Positionen vorstellten. Die beiden Sichtweisen auf das Thema „Windkraft im Wald“ wurden an diesem Vormittag in gegenseitigem Respekt und mit aufmerksamem Zuhören auf allen Seiten erörtert – eine Herangehensweise, die man sich derzeit in so manchen in der Gesellschaft heiß diskutierten Fragen wünschen würde.

Klimakrise ist jetzt

Stefan Geißler stellte die unerbittlich voranschreitende Klimakrise an den Beginn seines Vortrags und verwies darauf, dass gerade unsere Region hier, was das Ergreifen von Gegenmaßnahmen angeht, noch großen Nachholbedarf habe. Während einige bereits von „Überforderung“ durch die Windenergie sprächen, sei tatsächlich derzeit im Landkreis noch nicht eine einzige Windenergieanlage in Betrieb. „Wir nehmen damit unsere Verantwortung zur Eindämmung der Klimakrise schlicht nicht in angemessener Form wahr, während viele andere Regionen im Land dies seit Jahren mit Nachdruck tun.“, so Geißler, der darüber hinaus die Frage stellte, ob man denn weiter Jahr für Jahr Geldmittel in Millionenhöhe für den Einkauf von fremden, schmutzigen Energien abfließen lassen wolle, statt endlich mit Investitionen in die eigenen Erneuerbare Energien die lokale Wertschöpfung zu stärken. Befürchtungen, dem Lammerskopf drohe „Versiegelung“ und „Plattmachen“ wie sie von manchen geäußert würden, trat er mit dem Hinweis entgegen, ein Projekt mit angenommenen zehn Anlagen würde mit 6 Hektar dort oben lediglich 1% der ausgeschriebenen Fläche von 600 Hektar in Anspruch nehmen.

Warum ausgerechnet im FFH-Gebiet?

Jochen Schwarz, der nicht nur als Grüner Kreisrat, sondern als Mitglied des Landesvorstandes des Naturschutzverbandes BUND sprach, betonte zu Beginn, sowohl der BUND als auch er persönlich seien entschieden Windkraftbefürworter. Beim Lammerskopf allerdings stehe für ihn im Vordergrund, dass das kürzlich vom Eigentümer ForstBW ausgeschriebene Gebiet zum größten Teil FFH-Gebiet (Fauna-Flora-Habitat) ist und insofern besonderen Schutz verdiene: Mehrere geschützte Lebensraumtypen des Buchenwaldes, für die Baden-Württemberg eine besondere Verantwortung hat, und insbesondere eine große Zahl windkraftsensibler Fledermausarten machten den Lammerskopf zu einem naturschutzfachlich wertvollen und gleichzeitig empfindlichen Wald-Ökosystem. „Wir können nicht verstehen, warum gerade ein solches Areal als Windkraftstandort gewählt werden soll.“ Der FFH-Status verpflichte das Land Baden-Württemberg sicherzustellen, dass sich die Erhaltungszustände der europaweit streng geschützten Arten und Lebensraumtypen des Gebiets nicht verschlechtern. Und auf dem Lammerskopf erfordert dies eben in besonderer Weise den Erhalt der Lebensgrundlagen der dortigen Fledermäuse.

Schwarz betonte, dass der BUND sich nicht grundsätzlich gegen Windkraftstandorte im Wald ausspricht, denn nicht jeder Wald hat eine so hohe ökologische Qualität wir der Lammerskopf. Dennoch sollten zunächst und prioritär Standorte im Offenland gesucht und geprüft werden, die zumeist weitaus weniger Konfliktpotenzial hätten.

Zuhören – Konsens suchen

Einen gewissen Konsens stellten Geißler und Schwarz mit der Einordnung fest, mit dem Beginn der Ausschreibung sei ja noch keine Festlegung gefallen. Nach einem Zuschlag für einen erfolgreichen Anbieter im Sommer beginne überhaupt erst ein aufwändiger Prozess, bei dem die möglichen Beeinträchtigungen der besonderen Schutzziele untersucht würden. Gleichzeitig helfen die in den letzten Jahren stark angestiegenen Bauhöhen von Windkraftanlagen sowie Fortschritte bei elektronischen Abschalteinrichtungen, die Kollisionsrisiken für Vögel und Fledermäuse zu reduzieren.

Ähnlich vielfältig wie die Argumente von Schwarz und Geißler waren anschließend die Beiträge der Anwesenden in der von Jürgen Kretz moderierten Diskussion. Kritische Nachfragen nach Alternativstandorten in der Ebene und der Sorge um den Wald und seine Bewohner gab es ebenso wie die Einschätzung, die Klimakrise zwinge uns alle längst dazu, auch schmerzhafte Veränderungen hier bei uns hinzunehmen und sich nicht länger der Illusion hinzugeben, alle müssten sich bewegen, wir hier in der Region dagegen nicht.

Der Jakobssalon, in dem die Gastgeber Henriette und Hermino Katzenstein die Anwesenden begrüßt hatten, war an diesem Vormittag bis auf den letzten Platz gefüllt: dies unterstrich die Relevanz des Themas, das mit dem möglichen Windprojekt auf dem Lammerskopf in den angrenzenden Gemeinden diskutiert wird. Die respektvolle und kompetente Weise wie dies am Sonntag bei dieser Veranstaltung der Grünen stattfand, wirkte dabei stilbildend und weckt Hoffnung, dass unsere Gesellschaft das Zuhören, Abwägen und Konsenssuchen noch lange nicht verlernt hat.

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Ein Kommentar

  1. Das ist das Problem: Die Menschen denken nur an sich selbst und sind nicht mehr in der Lage, die Natur um sich herum zu respektieren. Die (teilweise) Zerstörung eines FFH-Gebiets ist ja nicht so tragisch, weil es ja dem Menschen dient und seinem Konsumhunger. (Ironie aus)
    Wann begreifen wir endlich, dass dieser Globus auch für uns als ökologisches Habitat zu begreifen ist und dass wir einfach zu viele Menschen in diesem Habitat sind.
    Wir leben über unsere Verhältnisse, weil wir uns schlichtweg vermehrt haben wie die Karnickel und nun vor einem echten Überlebensproblem stehen. Die Ressource „Erde“ reicht für so viele Menschen nicht aus. Die Habitatsgrenze der Spezies Homo sapiens ist schon lange überschritten. Und was das bedeutet, kann jede*r bei Tieren nachlesen, die den Horizont ihres Habitats überschritten hatten (Stichwort „Überpopulation“).
    Mensch bildet dabei keine Ausnahme!
    Aber nein! Es wird weiter auf Bevölkerungswachstum gesetzt. Ich frage Sie: zu welchem Preis?